Stand am 4. April 1944 in Nürnberg vor Gericht: der Ansbacher Kirchenjurist Friedrich von Praun.
Bild: Kirchenkreis Nürnberg
Gedenkveranstaltung in Nürnberg
"Das ist Gewalt, das ist nicht Recht"
Vor 75 Jahren fand eben dort vor dem Sondergericht die Verhandlung gegen den Direktor der Ansbacher Landeskirchenstelle statt. Von Praun war den Nationalsozialisten mehrfach unangenehm aufgefallen: Er verweigerte im April 1933 die Beflaggung seines Dienstgebäudes mit einer Hakenkreuzfahne und vermied konsequent den „Hitler-Gruß“. Nach einem Luftangriff auf das nahe Nürnberg im August 1943 sagte er "nicht Göring (als Befehlshaber der Luftwaffe), nur Gott könne noch helfen". Deswegen wurde er von zwei jungen Frauen denunziert und wegen „defaitistischer Äußerungen gegen führende Persönlichkeiten“ am 8. Oktober 1943 von der Gestapo verhaftet.
Die Verhandlung glich mit den wüsten Ausfällen des Richters Rudolf Oeschey einem Schauprozess. Das Gericht leitete den Fall nach der öffentlichen Verhandlung wegen des Verdachts auf Wehrkraftzersetzung an den berüchtigten Volksgerichtshof in Berlin weiter, der zahlreiche Menschen wegen dieses Delikts zum Tode verurteilte. Wenige Meter vom Justizpalast entfernt fand man Friedrich von Praun am 19. April 1944 morgens tot in einer Zelle der Untersuchungshaftanstalt – das Gebäude ist heute ein Teil der Justizvollzugsanstalt. Auch wenn Zweifel an der offiziellen Version berechtigt sind, so deutet doch alles daraufhin, dass der Jurist sich unter dem Druck des drohenden Todesurteils selbst das Leben nahm. Friedrich von Praun ist das einzige Todesopfer des Nationalsozialismus aus der Pfarrer- und Beamtenschaft der bayerischen Landeskirche.
Björn Mensing, Beauftragter für evangelische Gedenkstättenarbeit:
Mensing: Die gesamte Justiz war im Dritten Reich gleichgeschaltet. Es wurde nicht mehr nach Recht und Gesetz verhandelt. Aber man versuchte mit der Form der Verhandlung meist noch den Schein zu wahren. Wüste Beschimpfungen waren typisch für den Präsidenten des Volksgerichtshofs Roland Freisler. Wie sich Richter Rudolf Oeschey vom Sondergericht beim Landgericht Nürnberg-Fürth gegen von Praun verhielt, hat ein Pfarrer, der den Prozess beobachtete, 1947 eindrucksvoll geschildert. Der Richter habe den Verteidiger angeschrien, als der versuchte, Entlastendes vorzubringen. Seine Worte gegen ihn und von Praun waren erniedrigend und gehässig.
Mensing: Die Kirchenleitung hat Anteil genommen an dem Verfahren gegen von Praun, das ja bereits 1943 einsetzte. Aber Landesbischof Meiser hätte ein starkes Zeichen setzen können, wenn er von Praun in den sechs Monaten seiner Haft besucht hätte. Das tat er aber nicht, obwohl von Praun selbst sich immer kategorisch hinter Meiser gestellt hatte. Als der Prozess an den Volksgerichtshof verlegt wurde, hat die Landeskirche nicht interveniert - jedenfalls ist dazu nichts überliefert.
Mensing: Er ist jedenfalls der einzige aus der Pfarrer- und Beamtenschaft der Kirche, der wegen seiner kritischen Äußerungen sein Leben verlor. Zwei evangelische Pfarrer haben die KZ-Haft überlebt, Karl Steinbauer und Wolfgang Niederstraßer. Es gab aber noch einen Angestellten der bayerischen Landeskirche, der kaum im Blick ist. Martin Gauger arbeitete für den Lutherrat in Berlin. Er wurde aus dem Kirchendienst entlassen, als er erst versucht hatte, sich das Leben zu nehmen, und dann geflohen war, um dem Kriegsdienst zu entgehen. Er wurde verhaftet, ins KZ verschleppt und dort, schwer erkrankt, als "unnützer Esser" zur Vergasung selektiert. Auch die Münchnerin Elisabeth Braun, die rassisch Verfolgte bei sich aufgenommen hatte, wurde wegen ihrer eigenen jüdischen Herkunft von den Nazis ermordet.
Friedrich von Praun lebte ab 1920 in München und arbeitete als Jurist in der zentralen Verwaltung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Der Neubau des Verwaltungsgebäudes Arcisstraße 13 (heute Katharina-von-Bora-Straße) lag 1928/29 in seiner Zuständigkeit. Mit seiner Frau wohnte er in der Schellingstraße im Gemeindegebiet der Markuskirche, wo er sich ab 1929 ehrenamtlich im Kirchenvorstand engagierte. Politisch hegte der konservativ-monarchistisch geprägte Friedrich von Praun zeitweise Sympathien für die völkische Bewegung. Ende 1943 erklärte er über seinen Anwalt: "Ich habe den Reichsmarschall Göring in den Jahren 1920 bis 1923 etwa durch den mit mir persönlich befreundeten Oberstlandesgerichtsrat von der Pfordten in München kennengelernt." Theodor Freiherr von der Pfordten war Jurist am Bayerischen Obersten Landesgericht, unterstützte schon früh die NSDAP und war an den Vorbereitungen des Hitler-Putsches beteiligt. Am 9. November 1923 wurde der Protestant im Feuergefecht am Münchner Odeonsplatz von der Bayerischen Landespolizei erschossen – von den Nationalsozialisten wurde er deshalb als einer der "Blutzeugen der Bewegung" verehrt. Doch es blieb nicht bei Begegnungen mit Hermann Göring: "Ich […] lernte dort in der Osteria Bavaria führende Männer der nationalsozialistischen Partei persönlich kennen, so den Führer selbst". Unklar bleibt, welchen Eindruck von Praun dabei von Hitler, Göring und den anderen gewonnen hat.
Offener Protest
1930 wurde Friedrich von Praun zum Leiter der neu errichteten Landeskirchenstelle in Ansbach ernannt. Dort kam es bald nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten 1933 zu ersten Konflikten. Der Jurist entwickelte sich zum entschiedenen NS-Gegner und Anhänger der Bekennenden Kirche. Im März 1934 initiierte er einen Protest der Kirchenleitung gegen antisemitische Aktionen der NSDAP in Ansbach, bei denen sich alle Haushalte per Unterschrift verpflichten sollten, jegliche Kontakte mit Juden abzubrechen. Von Praun schrieb an den Landeskirchenrat in München: "Ich sehe mich verpflichtet, aus der bisherigen kühlen Reserve herauszutreten und um der Wahrhaftigkeit und des Rechtes willen persönlich eine Vorstellung bei [Regierungspräsident] Oberst Hoffmann zu erheben. Die Mitmenschen warten darauf, dass einer den Mut aufbringt, gegen diese Demagogie Widerstand zu leisten." Landesbischof Hans Meiser reagierte rasch. Im Namen des Landeskirchenrats richtete er am 29. März 1934 ein Schreiben an den bayerischen Ministerpräsidenten Ludwig Siebert (NSDAP), in dem er betonte, "in welch krasser Weise die Aufforderung zu der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Schädigung der Juden den Gesetzen christlichen Handelns zuwiderläuft". Damit hat Friedrich von Praun den Impuls für einen der wenigen Proteste der bayerischen Kirchenleitung gegen die Judenverfolgung gegeben.
Als die gleichgeschalteten Deutschen Christen (DC) Landesbischof Meiser vor 85 Jahren, im Oktober 1934 absetzten und er von der Polizei in seiner Dienstwohnung, Arcisstraße 13, arretiert wurde, stellte sich Friedrich von Praun hinter Meiser, lehnte eine Zusammenarbeit mit den DC ab und wurde ebenfalls amtsenthoben. Der "fromme Volksaufstand" gegen Meisers Absetzung führte nach wenigen Wochen zur Wiederherstellung der rechtmäßigen Kirchenleitung.
Szenische Lesung aus Quellentexten
Nach der Gedenkveranstaltung zum 75. Todestag im April mit Regionalbischof Stefan Ark Nitsche im Nürnberger Justizpalast sprachen in München für die Kirchenleitung Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler und Hans-Peter Hübner, Oberkirchenrat und Kirchenjurist. Im Mittelpunkt der Gedenkveranstaltung stand eine Szenische Lesung von Quellentexten aus dem Umfeld des politischen Verfahrens von 1943/1944 gegen Friedrich von Praun, in denen er selbst , seine Frau, aber auch an seiner Verfolgung beteiligte Nationalsozialisten zu Wort kamen, sowie die junge Frau, deren Aussagen den Kirchenjuristen schwer belasteten.Adeline Schebesch und Jochen Kuhle, Ensemblemitglieder des Staatstheaters Nürnberg trugen die von Kirchenrat Björn Mensing, promovierter Historiker und Pfarrer der Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte Dachau, recherchierten und kommentierten Texte vor. Als Ehrengäste nahmen mit Gabriele von Praun, Witwe eines Neffen Friedrich von Prauns, und den beiden Großneffen Christoph und Stefan von Praun die nächsten Angehörigen des NS-Verfolgten teil, dessen Ehe kinderlos geblieben war. Unter den Gästen befanden sich auch Nachkommen von KZ-Häftlingen und Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm.
04.04.2019
epd/elkb