Stefan Reimers
Bild: ELKB
Interview
"Seelsorge bleibt live und in Farbe"
Corona hat die evangelische Landeskirche in Bayern in einer Zeit der Neuplanungen und Reformprozesse erfasst. Der Personalchef der Landeskirche, Stefan Reimers, erklärt im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd), wo jetzt neue Prognosen nötig sind und wo sich Chancen auftun.
Die neue Landesstellenplanung, also die möglichst effiziente Verteilung der Pfarrstellen und des theologischen Personals in ganz Bayern, soll ein großer Wurf werden. Ist der durch die Corona-Krise gefährdet?
Die Landesstellenplanung als Ganzes ist nicht betroffen und schon gar nicht gefährdet. In der Umsetzung ist sie insofern tangiert, dass wir all die nötigen Vorbereitungen, Diskussionen und Beratungen zu den konkreten Regelungen im Moment nicht gut durchführen können. Das gilt insbesondere für ein neues Erprobungsgesetz, das uns in der Gestaltung der Stellen mehr Möglichkeiten als bisher geben soll. Denn für viele Gespräche braucht man die persönliche Begegnung. Und die neue Landessynode braucht die Zeit, sich intensiv mit den Fragen der Landesstellenplanung zu beschäftigen, genauso wie Kirchenvorstände oder Dekanatssynoden. Deshalb haben wir nicht mehr das Ziel, in der Herbstsynode 2020 darüber zu beschließen, sondern erst in der Frühjahrssynode 2021. Das gibt mehr Zeit zur intensiven Diskussion, bringt aber unsere mittelfristigen Zeitpläne nicht in Schwierigkeiten.
Gibt es über diese momentanen organisatorischen Schwierigkeiten hinaus auch inhaltliche Neuorientierungen und neue Zahlen, allein schon, weil die Kirche durch Einnahmeausfälle weniger Geld für ihr Personal haben wird?
Die Auswirkungen der Corona-Krise sind auf keinen Fall sofortige Stelleneinsparungen. Deshalb haben wir zum Beispiel im Landeskirchenrat sehr schnell darüber Einigkeit erzielt, dass wir jetzt gerade nicht einen Einstellungsstopp oder ähnliches für Pfarrerinnen und Pfarrer beschließen - und damit letztlich ein fatales Signal für unseren Nachwuchs geben. Deshalb werden selbstverständlich in diesem Jahr wie bisher die Vikarinnen und Vikare in den Probedienst als Pfarrerinnen und Pfarrer übernommen. Daran soll sich auch nach Möglichkeit nichts ändern, wir brauchen auch in Zukunft begeisterte und gut ausgebildete junge Kolleginnen und Kollegen, um unsere Kirche in komplizierten Rahmenbedingungen zu gestalten.
Das wird so aber nicht für alle Zeiten gelten können.
Natürlich ist es notwendig, dass wir gleichzeitig Personalprognosen erstellen, die dann wiederum die Grundlage füreine verlässlichee und langfristig finanzierbare Personalpolitik sind. Das wird gerade durchgeführt, hat aber nicht nur mit Corona zu tun. Da spielen Faktoren wie Demografie, Mitgliederentwicklung und Finanzkraft eine Rolle. Entscheidend ist, welches Personal braucht eine Kirche, die auch in Zukunft die Menschen in ihren Lebenssituationen erreichen will. Deshalb ist alle Personalplanung zwangsläufig eingebettet in den umfassenden kirchlichen Reformprozess "Profil und Konzentration" (PuK).
Die Corona-Pandemie hat der Kirche einen digitalen Schub gegeben...
Es ist überhaupt keine Frage, dass digitale Formen der Begegnung in Seelsorge und Verwaltung unsere kirchliche Arbeit verändern. Ich erlebe selbst, wie effektiv Sitzungen im digitalen Raum sein können, und wie viel Zeit das spart, weil ich nicht mehr so viele Reisen machen muss. Die Digitalisierung wirkt sich also vor allem sehr positiv im Verwaltungs- und Organisationsbereich aus. Außerdem können wir durch neue digitale Formate auch neue Zielgruppen ansprechen, die früher eher einen Bogen um die Kirche gemacht haben, also Menschen, die nicht sehr kirchengebunden sind und niederschwellige Angebote wollen, aus denen sie selbst auswählen können.
Wird das die bisherige Seelsorge in den Hintergrund drängen oder sogar ablösen?
Auf keinen Fall. Denn das intensive, inhaltlich vertiefte Gespräch wie in der Seelsorge und der Begleitung von Menschen benötigt die direkte Begegnung. Seelsorge ist persönliche Begegnung. Ich muss meine Gesprächspartnerinnen und -partner als ganze Person sehen und erleben können, denn Kommunikation braucht auch Wahrnehmungen des Wohlfühlens oder der Irritation, des Ärgers oder der Freude, die sich durch Körperhaltungen oder kleine Zeichen ausdrücken. Das funktioniert digital nur sehr eingeschränkt. Ich glaube deshalb, dass wir in der Seelsorge genauso wie bei intensiven Personalgesprächen "live und in Farbe" zusammenkommen müssen. Für mich selbst waren und sind persönliche, direkte und von Herzen zugewandte Begegnungen ein Hauptgrund, als Pfarrer in dieser Kirche zu arbeiten, und sie sind stärkende Erfahrungen für mein Leben. Digitale Wege bringen uns aber noch intensiver mit Menschen in Kontakt und sparen gleichzeitig viel Zeit. Diese Zeit können wir Pfarrerinnen und Pfarrer zum Beispiel in der Seelsorge nutzen. Die Chancen, die sich dadurch ergeben, müssen wir entdecken und pflegen, zum Beispiel auch dadurch, dass unsere Gottesdienste im digitalen Raum eine Selbstverständlichkeit werden, dass in einer hybriden Form Gottesdienste gleichermaßen analog wie digital verfolgt werden können. In der Ausbildung muss das eine deutlich verstärkte Rolle einnehmen.
Sie sind gerade dabei, das Vikariat - den zweiten Ausbildungsabschnitt der Pfarrerinnen und Pfarrer - zu reformieren?
In der Reform des Vikariats geht es darum, mit jungen Theologinnen und Theologen Wege zu gestalten, damit sie auf Fragen, die an sie herangetragen werden, nicht eine einzige Antwort für ihr ganzes berufliches Leben finden, sondern die Fähigkeiten vertiefen, immer wieder neue Antworten zu geben. Das ist letztlich der Kern dieser Ausbildungsreform, der sich dann in vielen einzelnen Schritten ausdrücken wird: Das Berufsleben als Pfarrer und Pfarrerin als andauernde Gestaltungsmöglichkeit wahrzunehmen. Ich bin sehr zufrieden, dass wir dieses Überlegen gemeinsam mit dem Team des Predigerseminars, mit vielen anderen Berufsgruppen, mit erfahrenen Kolleginnen genauso wie mit unseren jetzigen Vikaren gehen. Wir sind Kirche in sich rasch verändernden Umständen und überall in Bayern ganz unterschiedlich. In diesen Rahmenbedingungen Pfarrer oder Pfarrerin zu sein, ist eine hohe Herausforderung, aber auch eine spannende Möglichkeit, immer wieder neu Kirche zu bauen und sich selbst neu als Pfarrerin oder Pfarrer zu entdecken. Der Prozess "Vikariat 2026" versucht, das in Ausbildungsstrukturen zu übersetzen, und wir werden im kommenden Frühjahr unsere konkrete und detaillierte Perspektive dazu vorstellen.
Wie sind Landesstellenplanung und Vikarsausbildung in den großen Reformprozess PuK einbezogen?
PuK gibt für alles den Rahmen, die inhaltlichen Vorgaben, wie sich Kirche neu aufstellen kann. Und zwar nicht als Selbstzweck, sondern damit die Kirche ihrem Auftrag gerecht wird, die Menschen wieder neu mit der biblischen Botschaft zu erreichen. Dafür brauchen wir passgenau die richtigen Leute aus allen kirchlichen Berufsgruppen für die jeweilige Situation. Sie müssen "bewegungsfreudig" sein und in der Lage, in Beziehungen mit den Menschen in ihrem jeweiligen Aufgabenfeld zu kommen. Wir werden also noch viel mehr als bisher darauf achten müssen, ob für die Aufgaben, die in unterschiedlichen Regionen ganz unterschiedlich sein können, der Stellenzuschnitt und der jeweilige Stelleninhaber passen.
Die Corona-Krise mit ihren tiefgreifenden Verunsicherungen ist für diese Reformen aber nicht unbedingt der geeignete Zeitpunkt...
Corona erwischt uns mitten in einer Situation der Veränderung und des Aufbruchs, in der wir als Kirche im Moment sowieso stecken. Dabei gehören Veränderungsprozesse sowieso schon zum schwierigsten, nicht nur für eine ganze Kirche, sondern für jeden einzelnen Menschen. Häufig sind sie mit Ängsten verbunden, mit Trauer über Verlorenes oder mit dem Gefühl der Hilflosigkeit, wenn ich eben noch nicht genau weiß, wie die Zukunft aussieht. Gleichzeitig ist es ganz herrlich, sich gemeinsam sehr konkret und mit vielen Träumen und Wünschen an die Gestaltung der Zukunft zu machen. Mitten in diese Situation kommt Corona und macht alles noch einmal unsicherer: Was hat das für finanzielle Auswirkungen? Können wir als Kirche Menschen noch begegnen, oder sind wir für viele völlig unwichtig in ihren je eigenen Corona-Krisen? Wie wird das alles unsere Gesellschaft verändern, und welche Rolle müssen wir Christenmenschen übernehmen?
Welche Herausforderungen, welche Perspektiven erwarten Sie im Gefolge von Corona - nicht nur für die Kirche?
Die Herausforderung, uns weiter zu entwickeln und vieles auch ganz neu zu machen, ist größer geworden. Manches werden wir lassen müssen, anderes ganz neu beginnen. Wir werden einen Entwicklungsschub machen, nicht nur digital, sondern als Teil einer Gesellschaft, die in Krisen ganz solidarisch sein muss, um Menschen da durchzuhelfen. Als Teil einer Gesellschaft, in der der direkte, zugewandte Kontakt zu einzelnen Menschen viel wichtiger ist als große Mega-Veranstaltungen oder die Errungenschaften des Reisens in alle Welt. Als Teil einer Gesellschaft, die den sorgsamen Umgang mit der uns geschenkten Natur endlich ernst nimmt, um nicht noch mehr, noch schlimmere Krisen zu erleben. Und als Kirche, die sich mitten in die Diskussionen einbringt und mit gutem Beispiel vorangeht, zum Beispiel in der Förderung weltweiter Partnerkirchen oder in der Solidarität kirchlicher Mitarbeitender untereinander.
26.06.2020
Achim Schmid/epd