Wem geht nicht das Herz auf beim Anblick dieser innig verbundenen Kleinfamilie?

Wem geht nicht das Herz auf beim Anblick dieser innig verbundenen Kleinfamilie?

Bild: GettyImages

Aus der Sonderausgabe des Sonntagsblatts

Die anders heilige Familie

Was macht die Heilige Familie eigentlich so heilig? Eine Spurensuche von Alexander Brandl im Hier und Jetzt. Aus der Sonderausgabe des Sonntagsblattes "Weihnachten feiern".

Erst mal googeln, denke ich mir. Ich soll einen Artikel über die Heilige Familie schreiben. Mein Problem: Ich kenne viele Familien. Und die sind alles Mögliche. Zerstritten zum Beispiel. Manchmal liebevoll im Umgang (solange keines der Mitglieder zwischen 13 und 16 Jahre alt ist). Oder nach einer Scheidung kreativ neu zusammengefügt. Manche Familien sind heil. Andere nur auf den ersten Blick. Ich kenne Menschen, die alleine leben. Heiligabend verbringen sie mit Freunden. »Meine Familie«, sagen sie. Ich kenne Mama, Mama, Kind. So viele Familien. Und welche von ihnen ist heilig?

Die Suchmaschine spuckt als ersten Treffer einen Wikipedia-Eintrag aus. Der heißt »Die heilige Familie«. Volltreffer, denke ich. Was ich erwarte: Maria und Josef. Was ich bekomme: Marx und Engels. Klassenkampf statt Krippe. Die zwei haben eines ihrer Werke nach der Heiligen Familie benannt. Ein Gag der beiden Denker, wie sich herausstellt. Hier komme ich mit meiner Suche also nicht weiter. Ich versuche es auf der Gegenseite. Vielleicht versteckt sich die Heilige Familie im Kapitalismus. Und tatsächlich. Dort werde ich fündig. Für den bundesdeutschen Handel ist die Familie heilig. Am heiligsten sind junge Familien mit Neugeborenen im Jesuskind-Alter. 35 Prozent der Ausgaben für Baby- und Kinderausstattung entfallen laut dem Institut für Handelsforschung auf Null- bis Zweijährige. Für die Branche immer wichtiger werden »Momfluencer«. Sie geben in sozialen Medien Einblick in ihren Familienalltag. Einfach so. Wie nett. Die WirtschaftsWoche schreibt: Bei den 25 reichweitenstärksten Momfluencern ist fast jeder vierte Beitrag werblich.

Familie als lukratives Geschäftsmodell? Da reihen sich auch Maria, Josef und das Jesuskind ein. Der Weihnachtskrippenschnitzer Thomas Eyring stellt im Sonntagsblatt fest, dass junge Familien wieder mehr Krippen kaufen. Aus Nostalgie-Gründen vielleicht. Ein bisschen gute alte Zeit ins Wohnzimmer holen. Es stimmt schon: Wem geht nicht das Herz auf beim Anblick dieser innig verbundenen Kleinfamilie? Schweigend und geduldig stehen sie da – und sind Zeugen von knallenden Türen, motzenden Teenagern und vorwurfsvollem Schweigen zwischen Paaren, die sich schon seit Jahren nichts mehr zu sagen haben. Was Familie ist und was sie nicht ist – die hölzerne Heilige Familie hält ihren Betrachtern den Spiegel vor. Alle Jahre wieder.

Aber was macht diese Familie eigentlich so heilig? Die einfachste Antwort: Der Gottessohn. Aus dem wird noch mal was, verkünden die Engel. Revolution liegt in der Luft. Maria, noch schwanger, sieht schon die Mächtigen vom Thron stürzen. König Herodes sieht sich stürzen – und reagiert mit blanker Gewalt. Josef sieht sich in Verantwortung – und wird Patchwork-Vater eines Ziehkinds. Diese Familie steht nicht für Beständigkeit. Sie steht für Umbruch. Sie schert sich weniger um das Althergebrachte. Aber sie schert sich umeinander. Um die Liebe. Um Gott. Ist das schon heilig?

Das Wort »heilig« hat eine teils unheilige Karriere hinter sich. Heilig heißt oft: rein, makellos, moralisch korrekt. Heilig ist irgendwie ein bisschen langweilig. Aber im Neuen Testament sind Heilige nicht nur die Guten. Es sind alle, die sich sehnen. Nach einer Liebe, die nicht von dieser Welt ist. Es sind die, die die Welt nicht einfach akzeptieren, wie sie ist. Es sind die, die Christus nachfolgen, weil sie sagen: Wir wollen den Herrscher, der in einer Futterkrippe zur Welt kommt und auf einem schäbigen Esel reiten wird. Wir glauben, dass das Göttliche sich durchsetzen wird und nicht unsere menschliche Tendenz zu Krieg, gewaltsamer Grenzverschiebung und Terror. Wir sind die, die Gott sieht und nicht lässt. Und damit gehören wir alle zur heiligen Familie.

22.12.2023
Alexander Brandl/epv

Mehr zum Thema

weitere Informationen zum Artikel als Downloads oder Links