Die Diagnose Demenz darf nicht dazu führen, dass Menschen von der Gesellschaft ausgeschlossen werden.
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Bayerische Demenzwoche
Festhalten was verbindet
Wenn Menschen an einer Demenz erkranken, wird vieles anders. Das Leben an sich und die Lebensgestaltung der Betroffenen verändern sich im Verlauf dieser Erkrankung sehr weitreichend. Das verunsichert zutiefst - die Betroffenen, aber auch die Menschen um sie herum.
An der 4. Bayerischen Demenzwoche vom 15. bis 24. September beteiligt sich wieder eine Vielzahl an Einrichtungen und Institutionen mit mehr als 600 Veranstaltungen für Erkrankte und ihre Angehörigen, die Sie hier finden.
DemenzGuide
In der App finden Angehörige oder Freunde Tipps für den Umgang mit Menschen in der Demenz, hilfreiche Ideen für daheim oder die Pflegeeinrichtung – auch bei fortgeschrittener Erkrankung. Sie bietet zudem einen gut verständlichen Überblick über das Thema Demenz. Die kostenlose digitale Hilfe lässt sich leicht bedienen und kann heruntergeladen werden unter www.elkb.org/anwendung/demenzguide.
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In Bayern leben derzeit rund 270.000 Menschen mit Demenz. Ohne medizinischen Durchbruch werden es im Jahr 2040 rund 380.000 sein. Demenzerkrankungen gehören zu den häufigsten Gesundheitsproblemen des Alters. Störungen geistig-seelischer Leistungen des Gedächtnisses, des Denk- und Orientierungsvermögens sowie der Sprache sind Leitsymptome einer Demenz. Aufgrund dieser Störungen wird die Bewältigung des Alltags erschwert.
Im Interview erzählt der Beauftragte für Altenheimseelsorge in der ELKB, Pfarrer Michael Thom, von den besonderen Herausforderungen bei der Begleitung an Demenz erkrankter Menschen.
Pfarrer Thoma, was sind die größten Herausforderungen im Umgang mit Demenzpatientinnen und -patienten?
Die Herausforderungen gibt es in vielen verschiedenen Bereichen. Für den Betroffenen oder die Betroffene ist vermutlich der Zeitpunkt der Diagnose ein sehr bedrückender Moment. Oft gibt es Ahnungen, manchmal wird der Besuch in einer neurologischen Fachklinik auch hinausgezögert, denn die Diagnose einer Demenzerkrankung möchte keine und keiner für sich. Für Angehörige ist der Moment der Diagnose ebenso eine Herausforderung. Viele Fragen stellen sich, die gemeinsam geplante Zukunft bekommt ein anderes Vorzeichen: das Vergessen. Oftmals werden sie selbst oder nahe Verwandte und Bekannte von dementiell veränderten Menschen nicht mehr erkannt. Ebenso ist es sehr schwer, sich ganz auf die Wirklichkeit der Betroffenen einzulassen und nicht zu versuchen, diese in die Realität „zurückzuholen“.
Das betrifft auch den Pflegealltag: Die Handlungen des erkrankten Menschen nicht persönlich zu nehmen, sondern zu akzeptieren und damit entsprechend umzugehen.
Was ist die besondere Herangehensweise der ELKB?
Es werden spezielle Schulungen für Mitarbeitende und Angehörige vor Ort angeboten. Zudem gibt es eine Handreichung, die eine kurze Erklärung bereithält für alle Menschen, die sich mit dem Thema auseinandersetzen (müssen). Eine App, die (pflegende) Angehörige unterstützen soll, wurde zudem von zwei Seelsorgerinnen entwickelt. Auch ist die ELKB Mitglied im Demenzpakt Bayern.
Wie sieht diese Unterstützung im Alltag in den Heimen, Einrichtungen oder Familien aus?
Erste Erfahrungen mit der Demenz-App haben uns gezeigt, dass auch Pflegende diese Anwendung verwenden, um sich besser auf dementiell veränderte Menschen einstellen zu können. Gute Begleitung und ein guter Umgang mit dementiell veränderten Menschen werden wichtiger und sollten in der Gesamtheit der Gesellschaft eingeübt werden. Für alle Betroffenen und Angehörige ist es wichtig, die Anlaufstellen zu kennen.
ELKB
Nähme ich Flügel der Morgenröte...
Handreichung der Evang.-Luth. Kirche in Bayern zur Begleitung von Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen.
Welche Hilfestellung oder Tipps können Sie im Umgang mit Demenz geben?
Wichtig ist der Leitsatz: Alles hat seine Zeit. Lassen Sie ein Vorhaben lieber ausfallen, wenn Sie wenig Zeit haben. Ihr Gegenüber spürt Ihren Druck, und dann geht oft gar nichts mehr.
Im Gespräch ist es wichtig, dass Sie einfache und kurze Sätze formulieren und Ihr Gegenüber mit Namen ansprechen. Machen Sie eindeutige Mitteilungen und formulieren Sie Ihr Anliegen positiv. Beispiel: „Bleiben Sie bitte sitzen!“, statt „Passen Sie auf, dass Sie nicht vom Stuhl fallen!“ Stellen Sie Fragen, die mit ja oder nein beantwortet werden können und vermeiden Sie Diskussionen. Verzichten Sie auf Fragen, die das Kurzzeitgedächtnis betreffen. Dieser Teil des Gehirns baut als erstes ab. Also nicht fragen: „Was gab’s heute zum Frühstück?" Beschreiben Sie immer konkret, was Sie machen möchten. Zum Beispiel: „Ich ziehe dir jetzt die Schuhe an.“ Und gehen Sie trotz alledem davon aus, dass Ihr Gegenüber alles versteht - vielleicht sogar bis zum letzten Atemzug. Sprechen Sie daher niemals mit anderen über die betroffene Person, wenn diese dabei ist.
An wen können sich Betroffene oder Familien in der ELKB wenden?
Diese Antwort müssen wir noch offenlassen, denn wir sind gerade dabei, auch in Abstimmung mit der Diakonie, den röm.-kath. Kolleg*innen und den weiteren Playern im Demenzpakt über ein geeignetes Informationsportal nachzudenken.
Was muss sich gesellschaftlich im Umgang mit Demenz noch ändern?
Das Angebot der Beratung und Schulung muss flächendeckend vorhanden sein. Zudem muss es gelingen, dass Menschen mit Demenz soweit möglich am Alltag teilnehmen können, beispielweise bei einem gemeinsamen Konzertbesuch und in Gottesdiensten.
13.09.2023
ELKB