Das Kunstwerk "Growing on suspended mythologies" von Benjamin Zuber - hier die feierliche Übergabe mit Kunstreferent Helmut Braun.
Bild: Wildbad Rothenburg
art residency wildbad 2021
Verletzbarkeit als schöpferisches Potential
Seit Donnerstag, 14. Oktober, ist ein weiteres neues zeitgenössisches Kunstwerk im öffentlichen Park der Evangelischen Tagungsstätte Wildbad Rothenburg zu sehen: Ein imposantes Objekt, allein in Hinsicht auf Material und Größe: etwa 2,5 mal 2,5 Meter skizzierte Grundfläche, sich nach oben verjüngend und aufstrebend bis zu einer Höhe von mehr als fünf Metern. Aluminiumrohre und Rohrverbinder, 3D-gedruckte Elemente, Kabel als künstlerisches Material. Und gleichermaßen hoch emotional wie assoziationsreich. All dies ist zu finden in direkter Nachbarschaft zum eindrucksvollen, historisierenden Gebäudeensemble des Wildbads, nahe dem oberen Rondell unterhalb der Treppenanlage zum Spitaltor.
"Growing on suspended mythologies" nennt Berliner Künstler Benjamin Zuber sein in den zurückliegenden Monaten vor Ort entwickeltes Werk. Es ist das fünfte im Rahmen des Programms „art residency wildbad“, für das der Tagungsortseit 2017 jährlich neue Künstler, Künstlerinnen oder Künstlergemeinschaften zu mehrmonatigen Arbeitsaufenthalten einlädt. „Die Kongruenz von Form und Inhalt der hier entstandenen Kunstwerke unterscheidet das Projekt von vielen auch namhaften Skulpturenparks“, bescheinigt der Kunstreferent der bayerischen Landeskirche, Kurator und Kunsthistoriker Helmut Braun, dem auf mindestens zehn Jahre angelegten Programm „art residency wildbad“ beim dritten bayernweiten Kunst-Tag. Es weise weit über regionale Bedeutung hinaus.
Die verwobenen Dinge berühren emotional und lösen eine Reihe von wohl unterschiedlichsten Gefühlen aus. aus. Es geht um die Fragilität menschlichen Daseins und das Nachdenken über die Frage des Eingreifens in die Natur des Daseins. Es geht vielleicht um prothetische Erweiterungen der eigenen Identität.
Der Leiter des Kunstreferats der Landeskirche, Helmut Braun, bei der Werksübergabe
Werkübergabe als „Startschuss“ für einen Transformationsprozess
Der diesjährige Artist in Residence wurde 1982 in Bamberg geboren. Er studierte an den Akademien der Bildenden Künste in Nürnberg und Wien sowie an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. Heute lebt und arbeitet er als freier Künstler in Berlin. In seiner Arbeit für den Wildbad-Park setzt er sich künstlerisch mit dem schöpferischen Potential von physischer Verletzung, Krankheit und Vergänglichkeit auseinander. Das Thema beschäftigt ihn seit seinem Unfall vor wenigen Jahren.
Zugleich knüpft der Künstler in seinem Werk an die Geschichte des Standorts und an Friedrich Hessinga. Der 1838 in Schönbronn bei Rothenburg geborene Hessing gilt als Pionier auf dem Gebiet der Orthopädietechnik, ließ das einstige „Kurhotel ersten Ranges“ – das Wildbad Rothenburg – errichten und war u. a. Gründer der heutigen Hessing-Kliniken in Augsburg-Göggingen. Mit der Übereignungseiner Arbeit an das Wildbad, so der Künstler zur Werkübergabe, sei der „Startschuss“ für einen skulpturalen Transformationsprozess gegeben, in dem „Natur und Skulptur langsam miteinander verschmelzen und einen neuen, symbiotischen Zustand aushandeln werden.
“Fragilität – ein aktuelles Thema
„Die Gegenüberstellung von organischem, pseudoorganischem und synthetischem Material, von Natur und Technik lässt nicht nur an ein Denkmal der Vergänglichkeit, Verletzbarkeit, Gebrechlichkeit denken, es könnte sich auch um den kultischen Ort einer zukünftigen Zivilisation handeln, um eine technoide Pflanze, um eine mythologische Abstraktion“, sagt Benjamin Zuber zu seiner Arbeit.
Für den Kunstreferenten der bayerischen Landeskirche Helmut Braun stellt sich vor dem Hintergrund der Entstehung von Zubers Objekt als orts- und inhaltsbezogene Arbeit ein ganzes Kaleidoskop an Assoziationen ein. „Es geht um die Fragilität menschlichen Daseins und das Nachdenken über die Frage des Eingreifens in die Natur des Daseins. Es geht vielleicht um prothetische Erweiterungen der eigenen Identität.“
Mit dem Thema „Fragilität“ als einer aktuellen Fragestellung hatten sich vor der öffentlichen Werkübergabe am Abend auch die gut 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmer am dritten Kunst-Tag im Wildbad Rothenburg auseinandergesetzt. Dazu gab es unter anderem ein Grußwort des Wildbad-Leiters Dr. Wolfgang Schumacher zu "Fragilität - ein aktuelles Thema", ein Impulsreferat der freien Kuratorin und Autorin Carola Uehlken aus Berlin zu „Fragilität, Vulnerabilität“ sowie einen Beitrag von Pfarrer Andreas Weigelt, Kirchenrat und Referent für gesundheitsorientierte Personalentwicklung der Landeskirche, zu „Gesundheit – ein fragiles Geflecht“.
15.10.2021
Wildbad Rothenburg/Christa Rey